Die Schwestern

Es waren dereinst sieben Schwestern, die im Haus ihres Vaters lebten; ihre Mutter hatten sie bei der Geburt der Jüngsten verloren. Der Vater, ein gütiger Kaufmann, hatte sie zu sittsamen und keuschen Mädchen erzogen, die beim Spiel der Laute, beim Spinnen und Weben ihre Freude fanden. Als frommer Mann fühlte sich der Vater den Geboten des Korans verpflichtet, und so beschloss er eines Tages, sich zu einer Pilgerfahrt nach Mekka aufzumachen. Er besprach die Angelegenheit mit seinen Töchtern, fragte sie, ob sie denn wohl alleine zurechtkämen, ermahnte sie streng, ein sittsames Leben zu führen, und vergaß auch nicht zu fragen, was sie sich denn als Geschenk bei seiner Rückkehr wünschten. Einen seidenen Schleier, einen Armreif, bestickte Pantöffelchen, Tuch für ein Gewand, ein gemaltes Bild, auf dass sie sich an die fromme Reise des Vaters erinnere, ein Täschchen, baten die Älteren, nur die jüngste, siebte Tochter antwortete: „Vater, sei Gott mit dir auf deiner langen Reise, bring mir doch Allahs Segen.“

Ob dieses Wunsches beeindruckt, der, obwohl sie die Jüngste war, von Reife und Überlegung zeugte, beschloss der Vater, seinem jüngsten Kind die Verantwortung für Haus und Hof und die Geschwister zu übertragen, und übergab ihr die Schlüssel. Nachdem Vorräte für ein ganzes Jahr eingekauft und im Speicher des Hauses gelagert waren, nahm er die Mädchen noch einmal in die Arme, drückte und ermahnte sie, ihm nicht zur Schande zu gereichen, und machte sich auf die Reise.

So vergingen denn Tage und Wochen, die Mädchen waren brav, sittsam und fleißig, sie spannen und webten, und an den Abenden hörte man liebliche Stimmen zum Klang der Laute.
Ab und zu wurde gealbert, und in einem Augenblick der Unachtsamkeit fiel einem der Mädchen die Spindel in den Brunnen. Die Jüngste lachte: „Wo willst du denn wohl spinnen, jetzt unten im Schacht?“ Lachte und rief: „Holt mir ein Seil, ich will mich hinunterlassen.“ Kurz über dem Wasserspiegel öffnete sich plötzlich in der Brunnenwand ein Loch, das in einen schwarzen Gang mündete. Sie wand sich hinein und kroch auf allen Vieren, denn höher war der Gang nicht, neugierig in die Tiefe. Nach der ersten Biegung sah sie Licht, der Schacht musste im Hof eines tiefer gelegenen Hauses enden.

Es war der Innenhof eines heruntergekommenen Bauwerkes, in der Mitte eine Feuerstelle, darüber hing ein riesiger, dampfender Kessel, in dem ein schmutziger, fetter Kerl mit einem Holzlöffel rührte. „Salam alaikum“, grüßte das Mädchen höflich; „was machst du denn da?“ Der Mann fuhr erschrocken herum: „Ein Geist, Allah, ein Geist!“ „Unsinn“, erwiderte das Mädchen, „schau mich doch an, kann ein böser Geist so lieblich aussehen? Nein, ich bin ein Mensch genau wie du. Aber sag schon, was machst du da?“

„Allah sei Dank, nur eine Evastochter; ich koche eine Suppe für meine Kumpanen, die jeden Moment von der Arbeit heimkommen.“ Dem Ausmaß des Kessels nach zu urteilen, mussten das viele Kumpanen sein; das Haus war verdreckt, der Kerl zerlumpt und glich dem Ebenbild eines Gauners. Es gab da eine Bande von vierzig Räubern, die die Gegend schon seit Langem unsicher machten, in deren Unterkunft scheine ich gelandet zu sein, dachte das Mädchen, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„So, du kochst? Was denn, ich rieche ja gar nichts. Lass mich ein wenig kosten.“ Der Argwohn des Mannes war verflogen, er nahm einen Löffel und ließ sie ein Schlückchen probieren. Das Mädchen verzog das Gesicht und spie ihm die Suppe vor die Füße. „Pfui Teufel, was ist denn das, willst du deine Freunde vergiften? Geh, hol Salz, Harissa, etwas Ras el-Hanout [marokkanische Gewürzmischung] wäre auch nicht schlecht; und wenn du etwas Koriander findest, bring ihn mit.“ Warum eigentlich nicht, die Kleine scheint mehr davon zu verstehen als ich, dachte der Mann, wandte aber ein, dass er, um die Gewürze zu holen, auf den Lagerspeicher müsse. „Rede nicht so viel und geh schon, und gib mir den Kochlöffel.“ Der Mann kletterte in der Hoffnung, einmal in seinem Leben eine schmackhafte Suppe präsentieren zu können, über eine lange Leiter auf den Speicher.

Kaum war er in der Höhe angekommen, kippte das Mädchen die Leiter um, spuckte kurz in den Suppentopf, raffte alles Brauchbare, das sie im Hofe fand, zusammen und verschwand in der Mauerspalte, die in den unterirdischen Gang führte. Der Räuber zeterte und schrie, aber saß in der Falle. Seine Kameraden mussten schließlich das Tor aufbrechen, als sie nach Hause kamen, klopften, aber niemand reagierte. „Ein Geist war das, Allmächtiger, ein böser Geist“, heulte der Gauner auf dem Speicher, als seine neununddreißig Kumpanen ihn mit Hohn und Spott überzogen. Die Bande beschloss, am nächsten Tag einem achtsameren Mann das Kochen und die Wacht zu übertragen, während die anderen auf Diebestour waren.

Das Mädchen kam wiederum zu der Zeit, zu der das Essen bereitet wurde, und grüßte mit „Salam alaikum, geht es Euch wohl?“ Der Räuber ergriff einen Knüppel, fuhr herum und brüllte: „Warte nur, so lieblich du auch aussehen magst, du bist der Geist, der uns gestern gefoppt hat, dir wird ich’s zeigen“, und stürzte sich auf sie. Die Kleine trat im letzten Moment einen Schritt zur Seite, sodass der Räuber, von der Wucht seines Hiebes gezogen, zu Boden stürzte. „Gemach, gemach, der Herr, ich bin wirklich nur meines Vaters Tochter und ein normaler Mensch wie du. Uns ist der Zündstein verloren gegangen, um ein Feuer zu entfachen; ich wollte dich nur um ein glühendes Scheit bitten.“ „Na ja“, brummte der Gauner und rappelte sich auf, „wenn’s weiter nichts ist, kann ich dir helfen“; er nahm einen brennenden Holzscheit vom Feuer und reichte ihn dem Mädchen, drehte sich um und fügte hinzu: „Warte, ich hole noch eine Eisenschale für ein wenig Glut.“ Blitzschnell hielt die Gewiefte dem Räuber den heißen Scheit unter den Hintern, und als dieser erschrocken aufschrie, gab sie ihm einen Stups, sodass er in ein Kellerloch plumpste, warf die Falltür zu, verriegelte sie, raffte abermals alles zusammen und verschwand.

Das Spotten war den Räubern vergangen, langsam wuchs ihre Wut, das würde ihnen nicht noch einmal passieren. Die Wache des nächsten Tages sollte der Jüngste übernehmen, der trotz seiner nur siebzehn Jahre zu den Schlauesten und Gerissensten der Bande gehörte.

So ward es denn auch getan. Neununddreißig zogen des Morgens zum Raubzug, und nur der Jüngste blieb zurück, nachdem ihm noch und noch einmal eingebläut worden war, sich nicht übertölpeln zu lassen.

Zur gewohnten Stunde erschien das Mädchen und bezirzte den Jüngling im Augenblick mit ihrem Lächeln, ihrem leichten Erröten und den feurigen Blicken; denn alles hatten die Räuber bedacht, nur nicht die Anfälligkeit eines Mannes für die betörenden Reize eines lieblichen Mädchens. „Du tust mir so leid“, flötete sie, „ein junger, kräftiger, tatendurstiger Mann, abkommandiert zur Hausarbeit, dem Geschäft eines alten Weibes. Komm, wir wollen uns vergnügen und sehen, wer geschickter ist. Nimm ein Seil, und du kannst mich fesseln, wie du magst, ich werde versuchen, die Knoten zu lösen. Schaffe ich das, so darf ich dich binden. Gewonnen hat, wer schneller loskommt.“ Dem Jungen schien dies ein genialer Einfall, war er doch sicher, dass, einmal gebunden, das Mädchen nicht wieder loskäme und er seine Gefangene des Abends seinen Kumpanen präsentieren könnte. Er nickte ihr anerkennend zu, schnappte das Seil und begann sie zu fesseln, besah sich sein Werk und spottete: „Du musst schon eine Schlange sein, wenn du dich da wieder herauswinden willst!“ Nach kürzester Zeit stand die Kleine vor ihm und fragte spitzbübisch und neckend: „Ob ich denn wirklich eine Schlange bin? Komm, jetzt lass uns den Spieß umdrehen, ich bin zwar nur ein Weib, aber ich werde es trotzdem versuchen.“ Der junge Mann lachte ob solcher Einfalt, hielt ihr jedoch willig die Arme hin. Während der Gauner die Kleine wie ein Paket verschnürt hatte, begnügte sich die Maid mit einigen Knoten an Händen und Füßen. Der Junge grinste in sich hinein, wie albern dieses Spiel war, er würde im Nu frei sein und könnte dann immer noch das Mädchen für seine Kumpanen fangen.

Der Vater der Geschwister war in seiner Jugend zur See gefahren und hatte das Wissen über gute Seemannsknoten an seine Töchter weitergegeben, konnte man doch einen festen Knoten nicht nur auf See, sondern auch im Haushalt gut gebrauchen.

Alle Bemühungen, alles Winden, der schmerzhafte Einsatz der Zähne, alles vergebens, die Knoten hielten, was sie versprachen. Das Mädchen nickte dem Jungen aufmunternd zu, er habe bis zum Eintreffen seiner Freunde ja noch genügend Zeit, sich der Stricke zu entledigen, sagte, dass sie sich auf ein Wiedersehen freue, raffte alles Brauchbare zusammen und verschwand. Die Räuber waren außer sich vor Zorn und verprügelten den Versager gründlichst, bevor sie, zur endgültigen Beendigung der Schmach einen teuflischen Plan ausheckten.

Sie wollten das Mädchen mit ihren eigenen Waffen schlagen und sie, anstatt sich von ihr verführen zu lassen, selbst verführen. So schafften sie denn aus ihrem Beutelager ein paar Seidenballen, goldenes Geschmeide und ein Fläschchen erlesen duftendes Parfum herbei, Dinge, von denen sie glaubten, dass ihnen auch die standhafteste Frau nicht widerstehen könne. Dazu sollte ein Couscous bereitet werden, dessen Düfte über dem ganzen Viertel schweben und auch diese Teufelin in einen Rausch versetzen sollten. Einer der Diebe, ein klapperdürres Männchen, dessen Bart ob der Krätze nur in Inseln spross und dessen Gesicht überdies noch mit Furunkeln verziert war, war zwar ein schlechter Gauner, etwas beschränkt, aber konnte schnell laufen, was der Bande häufig genug zugute kam, und er konnte gut kochen. Dem Männchen wurde es etwas warm, als ihm der Auftrag übertragen wurde; die Bilder von der Strafe seines Kumpanen hatten sich fest in seinen Kopf geprägt.

Zur erwarteten Zeit rührte der Räuber in seinem Topf, aber das Mädchen, das nun seit Tagen wie ein Geist erschienen war, ließ sich nicht blicken. Die Stunden vergingen, der Räuber fluchte, nichts. Gen Abend pochte die Bande hämisch grinsend und voll böser Erwartung an das Tor, trat ein und glaubte ihren Augen nicht zu trauen; Seidenballen, das Geschmeide, das Parfum, der Verschluss nur leicht aufgesetzt, der Couscous und ein rot angelaufenes Pickelgesicht. Alles Wüten half nichts, das Mädchen war nicht gekommen, und sie mussten sich mit dem Couscous trösten, der zwar köstlich schmeckte, ihnen aber nicht mundete, weil ihnen die Galle übergelaufen war.

 

Sieben Mädchen schlüpften aus der Mauerspalte, richteten sich auf, schüttelten ihre Kleider, sie hatten sich mächtig herausgeputzt, stellten sich in eine Reihe, zündeten jeweils eine Kerze an, die sie in der Hand trugen und traten zur Räuberbande.

„Verzeiht, ihr Männer, dass wir so spät sind“, hauchte die Jüngste, „der Duft eures Couscous lag in der Luft und ließ uns das Wasser im Munde zusammenlaufen, wir haben schnell noch ein Bad genommen und wollen euch jetzt um eure Gastfreundschaft bitten, an eurem leckeren Mahle teilhaben zu dürfen.“

Die schlechte Laune verschwand im Nu, die Räuber grölten und konnten sich auch derbe Witze nicht verkneifen, als sich die Mädchen, wie es sich geziemte, etwas abseits der Männer niederließen. Der Koch wurde in den Keller geschickt, um einige Flaschen Wein zu holen, die zwar jedem Muslim streng verboten waren, aber in keinem Räuberhaushalt fehlen durften. So wurde denn gelacht und gescherzt, und man tauschte mehr oder minder anzügliche Neckereien aus, die Räuber wurden ob des unerwarteten Festes immer ausgelassener, und kurze Zeit später zuckten vierzig Gestalten mit den Gliedern, sahen sich von Engeln umgeben, deren seidiges Haar sie streichelte, bis die himmlischen Wesen Krallen und ihr Raubtiergebiss entblößten, um sich auf sie zu stürzen. Andere rangen mit Dämonen und Geistern, und der Koch lag mit dem Gesicht im Couscous und rührte sich nicht mehr. Das Pulver aus berauschendem Pilzextrakt, dass die Mädchen heimlich unter das Essen gemischt hatten, tat seine Wirkung. Die Jüngste hatte im Mauerspalt gelauscht, als die Räuber ihre grausamen Pläne schmiedeten, und so konnten die Mädchen ihren Gegenzug planen.

Was war das für eine schweißtreibende Plackerei, die so sorgfältig getürmten Frisuren der Mädchen, die nur von feinen, fast durchsichtigen Schleiern verhüllt gewesen waren und einer neckischen Aufforderung recht nahe kamen, hingen in Strähnen, Hände und Arme der Lieblichen waren dreckig und zerkratzt, aber endlich hatten sie es geschafft, Seidenballen, Geschmeide, das Parfum und natürlich den Couscous-Topf durch den schmalen Gang und den Brunnenschacht nach Hause zu schaffen.

Die Räuber schnarchten oder hielten Streitgespräche mit Fantasiepersonen, als die Mädchen noch einmal zurückkehrten, um dem Rabaukenpack noch Haare und Bärte mit etwas frischem Ziegendreck zu zieren. Endlich, im Garten angekommen, konnten die Mädchen nicht schlafen, ein Bach plätscherte auf der anderen Seite der Mauer, und das Erlebte wurde noch und noch einmal unter vielem Gekicher besprochen.

Am nächsten Morgen schlüpfte die Jüngste wieder aus der Spalte, schlich sich zu der Horde verkaterter, verdreckter Gestalten, die immer noch nicht ganz begriffen hatten, was ihnen widerfahren war, und sprach in entschuldigendem Tone: „Ihr Männer, wir haben euch übel mitgespielt und euch gefoppt, aber es war so langweilig dort oben in dem großen Haus“, sie streckte die Hand aus, um es zu zeigen, „immer alleine und hinter verschlossenem Tor. Wir wollen alles gutmachen und laden euch morgen Abend zu einem Festmahl in unser Haus, auf dass ihr nicht nur den leckersten Schmaus eures Lebens, sondern auch alles andere, was ihr euch wünscht, genießen könnt. Verzeiht uns also, geht ins Badehaus, auf dass ihr sauber seid und wohl riechet, und kommt morgen zur abendlichen Gebetsstunde, wenn der Muezzin ruft, einzeln und nacheinander durch die kleine Holztür zum Garten, auf dass unser Ruf bewahrt bleibe und euch niemand sieht. Bis morgen, Gott möge euch behüten.“ Letzteres war den Räubern zwar recht gleichgültig, aber die Aussicht auf das, was da versprochen war, war doch sehr, sehr verlockend.

So sauber waren die Räuber noch nie in ihrem Leben gewesen, einige hatten sich sogar die Haare und den Bart gestutzt, alle Waffen waren angelegt, zeugte dies doch nicht nur von Männlichkeit, sondern konnte auch sonst nur dienlich sein, wollte man sich doch an diesem Abend nichts entgehen lassen. Dem Wein hatte die Bande abgeschworen, es war sowieso nicht zu erwarten, solches im Hause eines frommen Muslims zu finden, und auch bei Speisen und anderen Getränken wollte man Vorsicht walten lassen. Man hatte auch nicht wirklich vor, die Mädchen lebend entkommen zu lassen; wäre es doch allzu schade, wenn diese etwas erzählten.

Als der Muezzin rief, machte sich die Bande auf den Weg, um, wie vereinbart, einzeln und nacheinander durch die Gartentür des herrschaftlichen Hauses zu schlüpfen, das im Stile eines Agadir erbaut war und so auf mehreren Ebenen die große, von einem schmiedeeisernen Tor verschlossene Einfahrt, die darüber liegenden Kornspeicher, die heute der Lagerung der Waren des Vaters dienten, und die oben gelegenen Wohngemächer der Familie vereinte. Die Jüngste, heute sehr adrett anzusehen, empfing sie und führte sie eine steile, enge Wendeltreppe hinunter ins Erdgeschoss, einen großen, leeren Raum, der aber mit weichen Strohballen bestückt war. In der Mitte lagerten die Seidenballen, das Geschmeide und die anderen den Räubern entwendeten Gegenstände. Die Banditen, verwundert ob des fehlenden Mahles, ahnten Böses und zogen die Waffen, als sich mit einem leisen Quietschen die Tür zum Wendeltreppengang wieder öffnete und die Jungfrauen den Raum betraten. Die Haare offen und ohne Schleier, hatten sich die Mädchen allen Ermahnungen des Vaters und den Geboten des Koran zuwider die Kleider enger um die Körper gehüllt, sodass die verführerischsten Formen zu erahnen waren. Um die Räuber war es geschehen, sagten denn nicht schon die heiligen Schriften, dass es nicht des Mannes sei, sich den unkeusch dargebotenen Reizen eines Weibes zu widersetzen, ja, das dies gar nicht möglich sei, da niemand vom Manne verlangen könne, nach einer solchen Einladung Beherrschung zu zeigen. Gier blitzte in ihren Augen, aber noch mehr die Begierde, als ein gewaltiges Rauschen und Krachen sie aus ihren Träumen riss und herumfahren ließ. Die Sekunde der Unachtsamkeit, als das schwere , hölzerne Fallgitter hinter dem nur angelehnten Eisentor herunterrasselte, genügte den Mädchen, um über die Wendeltreppe zu entkommen, die Tür zu verriegeln, in ihre Schlafgemächer zu eilen, sich umzuziehen, die Fenster weit zu öffnen und aus Leibeskräften ein Geheul und Gezeter zu entfachen, das in kürzester Zeit die ganze Nachbarschaft zusammenlaufen ließ. „Helft uns, so helft uns doch, Räuber, Räuber!“, so tönte es aus sieben Kehlen.

Die Stimmung im Keller war gereizt und böse. „Weiber des Gehörnten“, „Luder“, „Dreckspack“ waren noch die gelindesten Ausdrücke, aber wie die Halunken auch wüteten, die Leitern zu den Lagerräumen waren entfernt und das Falltor nicht zu überwinden.

So dauerte es nicht lange, bis die Wache des Sultans mit einer Gruppe Soldaten anrückte und die tobenden Männer in Ketten legte. „Seht“, riefen die Mädchen, „seht, was sie schon alles zusammengeraubt haben. Die Seidenballen, für deren Qualität unser Vater berühmt ist, das Geschmeide, die Düfte, die unbeschreiblichen Werte, selbst vor unseren Haushaltsgegenständen haben sie nicht halt gemacht. Allah ist barmherzig, Allah sei Dank, dass ihr gekommen seid, weiß Gott, was sie mit uns gemacht hätten!“

Die Gerichtsverhandlung fand unter der Leitung des Sultans statt. Die Töchter mussten, tief verschleiert, wie es sich geziemte, dem Sultan und seinem Großwesir untertänigst schildern, wie sie nach den Gebeten, schon im Zubettgehen begriffen, den Lärm in der Halle gehört und die Sicherheitshebel, die in den Schlafgemächern angebracht waren, gezogen hätten. Daraufhin sei das Sicherheitsfallgitter mit großem Getöse heruntergedonnert, so sagten die Mädchen. Die Räuber aber stritten alles ab, sie seien auf Einladung der Mädchen gekommen, welche ihnen in den Tagen zuvor all die Kostbarkeiten gestohlen und sie in ihr Haus geschleppt hätten, eine Schilderung, die bei Sultan und Großwesir ein Lächeln, im Saal jedoch johlendes Gelächter und einen Hagel aus Verwünschungen, Spott und Hohn auslöste. Sultan und Großwesir aber standen vor einem Problem. So klar die Indizien auch waren, die Beute, das zerschlagene Schloss am Haupttor, das man nur angelehnt gefunden hatte, der gute Leumund der Jungfrauen, die lächerliche Anklage der Räuber, die Töchter eines Kaufmannes so großen Ansehens hätten sie selbst bestohlen, all das mochte erdrückend sein; was aber die Aussagen anging, stand es vierzig zu dreieinhalb, da den Schriften und dem Gesetz zufolge die Stimme einer Frau nur halb so viel wiegt wie die eines Mannes.

Der Sultan und sein Wesir zogen sich zu einer langen Beratung zurück. Schließlich öffnete sich eine Tür, und der Sultan trat auf die Empore, von der aus er seine Urteile zu verkünden pflegte. „Im Namen der Gerechtigkeit und des Allmächtigen spreche ich die Beschuldigten von der Anklage frei!“ Ein Raunen ging durch die Menge, die Räuber aber konnten sich trotz aller Ermahnungen zur Disziplin nicht halten und fielen sich johlend in die Arme.
„Da die Freigesprochenen aber offensichtlich die Würde des Gerichtes und die ihres Herrschers nicht achten können“, fuhr der Sultan leiser fort, „zwangsverpflichte ich sie hiermit für meine Armee, mögen sie denn die Lücken füllen, die die letzte Schlacht gerissen hat.“

So lebten die Räuber in großer Zufriedenheit. Bei Sold, freier Verpflegung und einem Dach über dem Kopf, konnten sie weiter morden und plündern und ihr gewohntes Leben fortsetzen, denn die Bedürfnisse eines Räubers und die eines Soldaten der damaligen Zeit waren nicht allzu verschieden.